Angst habe ich keine, wenn ich durchs Camp gehe. Als Hilfswerkmitarbeiterin fühle ich mich sicher. Trotzdem tue ich es nur, wenn ich muss. Freiwillig kommt hier niemand hin: zu viele Menschen, zu viel Dreck. Das Camp liegt an einem steilen Hang gleich neben der Stadt Vathy. Der offizielle Teil bietet 650 Menschen Platz. Er ist durch einen Zaun vom «Jungle» abgegrenzt. So nennt man den inoffiziellen Teil, der sich rundherum gebildet hat. 4000 Menschen leben dort. Oft in Hütten, die sie aus Blachen und Holz gebaut haben. Oder in Campingzelten.
Wenn neue Leute ankommen, werden sie registriert, und dann müssen sie für sich selbst schauen. Es wird sogar mit Unterkünften gehandelt – man beobachtet durchaus auch Innovatives. Neulich habe ich gesehen, dass jemand eine kleine Bäckerei aufgebaut hat.
Sonst herrscht viel Elend. Es gibt praktisch keinen Strom und keine sanitären Anlagen. Die Leute bauen selber Toiletten. Die sind jedoch nicht an die Abwassersysteme angeschlossen. Und für Frauen ist es gefährlich, in der Nacht auf diese Toiletten zu gehen. Es gibt viele Vergewaltigungen. Die Frauen behelfen sich mit Flaschen oder Becken.
Auch Müll ist ein Problem, es hat deswegen viele Ratten im Camp. Diese schleppen Krankheiten ein, Krätze oder Tuberkulose. Im Jahr 2019 haben wir 1400 Liter Anti-Läuse-Shampoo verteilt. Die Zustände im Camp sind nicht menschenwürdig. Manchmal erdrückt mich das. Doch dann weiss ich umso mehr, weshalb wir machen, was wir machen.