MEDIA: LANDBOTE – «Znacht mit Google-Übersetzer»
Der folgende Artikel wurde in der Printausgabe (Oktober 2020) im Landbote publiziert. Online findet man den Originalartikel hier.
Flüchtlinge in Winterthur Znacht mit Google-Übersetzer
Das Integrationsprojekt «Wanderznacht» ist nach Zürich auch in Winterthur gestartet.
«Wie sagt man ‘danke’ auf Arabisch?», fragt Prisca, die Gastgeberin des Abends, einen ihrer Gäste. «Shukran», sagt Ali Reza, der aus dem Irak stammt. Bitte, danke, hallo: Das sind die typischen ersten Worte, die man in einer anderen Sprache lernt. Es ist das erst Abendessen des «Wanderznacht», eines Integrationsprojekts des Hilfswerks Glocal Roots. Die Organisation betreut Projekte in der Schweiz und in Griechenland. Zum «Wanderznacht» trifft sich eine Gruppe von sechs bis acht Leuten einmal im Monat. Immer ist jemand anderes Gastgeberin oder Gastgeber. Das Besondere: Etwa die Hälfte der Gruppe ist in der Schweiz aufgewachsen, die andere Hälfte kommt von irgendwo – die Herkunftsorte sind rund um den Globus verstreut.
Mit dem Versuch, Integration mit Essen zu verbinden, hat Glocal Roots in Zürich bereits gute Erfahrungen gemacht. Das hat die mehrheitlich freiwilligen Mitarbeiter dazu bewogen, einen Versuch in Winterthur zu starten.
«Eshgh» bedeutet Liebe
Im September fand das erste Kennenlernen statt, wobei die Gruppen für den Nacht gebildet wurden. In jeder Gruppe trägt jemand die Verantwortung dafür, dass die Treffen tatsächlich stattfinden. Kontakt hält man über WhatsApp; unser Gruppenchat heisst «Eshgh», was Liebe auf Persisch bedeutet.
So sitzen Ende Oktober sieben Leute aus der Schweiz, dem Irak, Äthiopien und Eritrea and einem Tisch. Obwohl das heutige Gastgeberpaar aus der Schweizkommt, gibt es kein typisches Schweizer Abendessen. Bei zwei Veganerinnen bietet die käselästige Schweizer Küche wohl auch nicht allzu viel an. So gibt es zur Vorspeise verschiedene Dips wie Hummus und Guacamole, serviert zu Fladenbrot und Salat. «Das ist mein Lieblingsbrotaufstrich», sagt Hasti, die Tochter der Familie aus dem Irak, und zeigt auf die Auberginenpaste. Ursprünglich hatte sich nur die Mutter für das Projekt angemeldet, doch dann lud das Gastgeberpaar kurzerhand die ganze Familie dazu ein. «Je mehr, desto besser», findet sie.
Was sich als absolut zutreffend erweist, denn: Die Jüngste am Tisch wird zur Übersetzerin. «Hasti kann von uns dreien am besten Deutsch, sogar Schwizerdeutsch», sagt ihre Mutter Maryam. Der Vater nickt zustimmend und klopft der Neunjährigen auf die Schulter.
In der Schule hat Hasti regelmässigen Kontakt zu Deutsch sprechenden, dadurch ist sie ihren Eltern um einiges voraus. Aber auch sie wissen sich zu helfen: Wann immer der Vater Ali Reza etwas nicht versteht oder ihm die deutschen Wörter fehlen, greift er zum Handy. Über die App von Google-Übersetzer kann er seine Wörter auf Persisch vorsprechen, und einen Augenblick später erscheinen diese dann auf Deutsch.
Das Handy erweist sich an diesem Abend als Brückenbauer zwischen den Kulturen. So zeigt uns auch Sami, der aus Äthiopien und Eritrea stammt, ein Video von einer äthiopischen Kaffee-zeremonie auf seinem Smartphone. «Nach Äthiopien möchten wir gerne mal reisen», sagt Peter, der neben Prisca ebenfalls Gastgeber ist. Rasch schlägt Sami vor, dass wir alle gemeinsam in ein äthiopisches Restaurant in Zürich gehen. Während des Pläneschmiedens wird der Hauptgang aufgetischt: Gemüsecurry mit Basmatireis. Und Poulet, für die, die mögen.
Die Gastgeber aus der Schweiz (links), haben Maryam, Hasti und Ali Reza aus dem Irak eingeladen. Foto Elena Willi
Das Eis ist gebrochen
Anfangs dominierten die Gesprächsthemen Musik, Reisedestinationen und Essen der anderen Kulturen. Jetzt reden wir darüber, was es bedeutet, die Heimat zu verlassen, und wie das Lebensgefühl in der Schweiz ist. Daran zeigt sich: Das Eis ist gebrochen. «Die Schweiz ist toll, die Leute sind super», sagt Ali Reza. Nicken um den Tisch. Dann fügt er hinzu: «Aber es dauert alles sehr lange.» Wieder zustimmendes Nicken. Seit fünf Jahren ist die Familie in der Schweiz; ob sie nun definitiv bleiben dürfen, wissen sie nicht.
Was am Warten besonders schlimm ist, ist die Untätigkeit: Diese Ansicht teilen Maryam, Ali Reza und Sami. Während die Abklärung der Aufenthaltsbewilligung läuft, ist es vielen nicht erlaubt zu arbeiten. Sami, der seit neun Jahren in der Schweiz ist, geht es heute zum Glück anders. Er verdient sein Geld als Installateur von Solaranlagen und ist froh, arbeiten zu können.
Zum Ende des Abends wird das Gesprächsthema dann nochmals leichter. Es geht um Fussball: Bayern-München, Arsenal oder Barcelona? Daran scheiden sich die Geister. In einem Punkt sind sich jedoch alle einig: Schweizer Fussball sei wirklich nicht «das Beste vom Besten».
www.glocalroots.org
Elena Willi
Landbote Journalistin