MEDIA: Weekly Style – Von Hand für Bauch und Kopf

Der folgende Beitrag wurde in der print Ausgabe der Schweizer Illustrierten im Januar publiziert.
RENÉ HAENIG, Journalist Schweizer Illustrierte
Weekly Style:
Von Hand für Bauch und Kopf
Die bunten Accessoires des Labels Glocal Roots sind nicht nur handgemacht und aus recyceltem Stoff, sie erzählen auch Geschichten von Frauen auf der Flucht. In jedem Etikett finden sich Erlebnisse derjenigen Näherin, die das jeweilige Produkt hergestellt hat.
Es sind Produkte mit Geschichten, die Glocal Roots anbietet: Ob genähte Bauch- oder Handtaschen, gehäkelte Schlüsselanhänger oder pailletten-verzierte Portemonnaies – jedes Teil des Zürcher Labels ziert ein Etikett oder eine Visitenkarte mit der persönlichen Geschichte der Frau, die das Accessoire hergestellt hat. «Unsere Produkte leben von diesen Geschichten. Wir machen so auf die Themen Flucht und Vertreibung aufmerksam und zeigen gleichzeitig, dass hinter jedem unserer Artikel ein Menschen mit einer Lebensgeschickte steckt», sagt Liska Bernet, 35.
Die gebürtige Zürcherin studierte Politikwissenschaft sowie Entwicklungszusammenarbeit. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 ging sie als eine der ersten Schweizer Helferinnen nach Griechenland, um in Athen ein Zentrum für Geflüchtete mit aufzubauen.
Nur zwei Jahre später gründete sie die Hilfsorganisation Glocal Roots – zusammengesetzt aus den Worten «glo(bal)» und «(lo)cal».
«Mit unserem Namen möchten wir aufzeigen, dass die Identität eines Menschen nicht nur durch das Land geprägt wird, in dem er geboren und aufgewachsen ist, sondern von all den Orten, an denen jemand lebt.» Sie selbst sei das beste Beispiel: In Zürich aufgewachsen, studierte Liska Bernet in Grossbritannien und pendelt heute zwischen der Schweiz und Griechenland. «All diese Stationen prägten mich und machen mich heute aus.»
Vor allem alleinerziehende Mütter finden in den Ateliers von Glocal Roots im griechischen Athen sowie im türkischen Izmir nicht nur faire Arbeitsbedingungen samt Kinderbetreuung, sondern auch einen Ort der Zuflucht und Ruhe vor den oft prekären Zuständen in den Flüchtlingslagern. Frauen können in den Nähateliers Kurse absolvieren, und so erhalten sogar Analphabetinnen die Möglichkeit einer beruflichen Ausbildung.
Die Rohstoffe für ihre Produkte finden Glocal-Roots-Helfer unter anderem am Eleonas-Markt von Athen oder auf Kleiderdeponien in Izmir. Berge von Abfall werden durchwühlt, wertvolle Stoffe und Kleider gerettet und weiterverarbeitet zu Bauchtaschen, Portemonnaies, Necessaires, Shopper-Bags oder Schlüsselanhängern. Schneiderinnen in der Schweiz entwickeln die Designs. Den Verkauf der Produkte auf Märkten sowie im Onlineshop von Glocal Roots betreuen rund 20 Helfer. Rund 120 000 Franken wurden so bisher erwirtschaftet. Geld, das vollumfänglich in das Hilfsprojekt zurückfliesst. «Aktuell versenden wir nur in die Schweiz, aber wir planen den Aufbau eines zweiten Standorts in Deutschland.»
Unter den Tausenden Schicksalen von Frauen auf der Flucht berührte eines das Herz von Liska Bernet besonders. «Eine Mutter von Kleinkindern verlor ihren Mann durch einen Herzinfarkt. Sie stand mit den Kindern plötzlich allein auf der Strasse. Als Näherin verdient sie bei uns Geld, um für sich und ihre Kinder ein kleines Zimmer mieten zu können.»